Patientenverfügung: was ändert sich nach der Entscheidung des BGH?

Eine Patientenverfügung ist eine Willenserklärung einer Person für den Fall, dass sie ihren Willen nicht (wirksam) gegenüber Ärzten, Pflegekräften oder Einrichtungsträgern erklären kann. Sie bezieht sich auf medizinische Maßnahmen wie ärztliche Heileingriffe und steht oft im Zusammenhang mit der Verweigerung lebensverlängernder Maßnahmen. Was genau unter einer Patientenverfügung zu verstehen ist, richtet sich nach der jeweiligen (nationalen) Rechtsordnung.

Der Bundesgerichtshof 2018 zur Bestimmtheit der Patientenverfügung

Mit Beschluss vom 14. November 2018 (Az. XII ZB 107/18) hat der Bundesgerichtshof seinen Beschluss vom 6. Juli 2016 präzisiert. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen für Patienten nicht zu hoch sein. Demnach muss eine gültige Patientenverfügung nicht zwingend konkrete ärztliche Maßnahmen beschreiben. Im Einzelfall kann sich die erforderliche Eindeutigkeit der Patientenverfügung auch durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. So stärkt der Bundesgerichtshof das Recht auf Selbstbestimmung für Patienten. Bei Unklarheiten können außerdem Zeugenaussagen zurate gezogen werden.

Rechtliche Verbindlichkeit

Die Frage der Verbindlichkeit einer Patientenverfügung stellt sich dann, wenn der Patient nicht einwilligungsfähig ist, denn jede medizinische Behandlung bedarf der Einwilligung des Patienten. Kann der Patient nicht selbst einwilligen oder seinen Willen nicht selbst äußern, wird der Patient durch einen Betreuer oder einen Bevollmächtigten vertreten.

Seit 2009 (siehe unten) ist die Patientenverfügung und insbesondere die Verbindlichkeit der Patientenverfügung nach deutschem Recht gesetzlich geregelt.

Für den Betreuer oder den Bevollmächtigten ist die Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 Satz 2 BGB unmittelbar verbindlich. Die Verbindlichkeit gilt unabhängig von der Art oder dem Stadium der Erkrankung des Betreuten. Betreuer oder Bevollmächtigter müssen dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen Ausdruck und Geltung verschaffen, wenn die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ob dies der Fall ist, haben sie zu prüfen. Deshalb ist es wichtig, eine Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht zu kombinieren. Ein in einer Patientenverfügung zum Ausdruck kommender Wille ist bindend, wenn

- die Urteilsfähigkeit beim Erstellen der Patientenverfügung nicht anzweifelbar ist,
- der Verfasser Festlegungen gerade für diejenige Lebens- und Behandlungssituation getroffen hat, die nun zu entscheiden ist,
- der Wille nicht auf ein Verhalten gerichtet ist, das einem gesetzlichen Verbot unterliegt,
- der Wille in der Behandlungssituation noch aktuell erscheint und
- keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Patientenverfügung durch äußeren Druck oder aufgrund eines Irrtums zustande gekommen ist.

Enthält die Patientenverfügung eine Einwilligung in eine ärztliche Maßnahme, muss eine ärztliche Aufklärung nach § 630d Abs. 2 BGB und § 630e BGB erfolgt oder darauf verzichtet worden sein. Soll eine bestimmte Behandlung untersagt werden, ist eine vorherige Aufklärung nicht nötig.

An den in der Patientenverfügung geäußerten Willen ist unter den genannten Voraussetzungen auch das Betreuungsgericht gebunden, wenn es nach § 1904 BGB dazu berufen ist, die Einwilligung, die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung des Betreuers bezüglich einer lebensgefährdenden oder dem Unterlassen einer lebenserhaltenden bzw. -verlängernden Maßnahme zu genehmigen. Die betreuungsgerichtliche Genehmigung erübrigt sich, falls zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass ein Eingriff oder dessen Unterlassung oder dessen Abbruch dem Willen des Betreuten entspricht (§ 1904 Abs. 4 BGB).

Der Patientenwille ist nach § 630d BGB auch für den Arzt maßgeblich. Liegt eine Patientenverfügung vor, hat der behandelnde Arzt zunächst zu prüfen, welche ärztlichen Maßnahmen in Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten angezeigt sind. Sodann haben er und der Betreuer oder der Bevollmächtigte diese Maßnahmen unter Berücksichtigung des Patientenwillens zu erörtern.

Der Betreuer bzw. Bevollmächtigte hat auf der Grundlage dieses Gespräches zu entscheiden, ob mit diesen mit dem Arzt besprochenen Maßnahmen dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen Geltung verschafft würde oder ob ein entgegenstehender Patientenwille eindeutig und sicher festgestellt werden kann. (§ 1901b Abs. 1 BGB). Dabei soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist (§ 1901b Abs. 2 BGB). Ein Mitentscheidungsrecht haben sie indessen nicht. Ist die Patientenverfügung eindeutig, so Bedarf es der ärztlichen Aufklärung jedoch nicht.

Die früher geltende Reichweitenbegrenzung, der zufolge dem Willen eines Patienten, auf lebenserhaltende Maßnahmen zu verzichten, nur gefolgt werden durfte, wenn der Tod nahe bevorsteht, ist entfallen. Auch die medizinethisch besonders umstrittenen Konstellationen des sogenannten Wachkomas und der Demenzerkrankung, mit denen oftmals kein nahe bevorstehendes Lebensende verbunden ist, schränken die Geltung der Patientenverfügung nicht mehr ein. Damit ist rechtlich anerkannt, dass es auch außerhalb eines unmittelbar bevorstehenden Todes von der Gesellschaft anzuerkennende Gründe und Motive gibt, vom Leben zu lassen, und dass auf ein mögliches Weiterleben verzichtet werden kann, ohne dass jemand gegen seinen Willen von Dritten daran gehindert werden darf.

Ist eine lebenserhaltende Behandlung aus ärztlicher Sicht indiziert, entscheidet – wie bei jeder anderen Behandlung – der Patient mit seiner Einwilligung oder Nichteinwilligung darüber, ob die Behandlung vorgenommen werden darf. Die Missachtung des Patientenwillens kann als Körperverletzung strafbar sein. Ein Beispiel wäre Anlegen eines künstlichen Magenzugangs in Form einer PEG gegen den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen. Je nach Verschulden kommt statt vorsätzlicher auch fahrlässige Körperverletzung in Frage.

Würde die Befolgung des Patientenwillen jedoch eine Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) darstellen, soll ein entsprechender Wille nach der Gesetzesbegründung unbeachtlich bleiben.

Ein Psychiatrisches Testament, mit dem jede psychiatrische Zwangsbehandlung abgelehnt wird, insbesondere die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Einrichtung und dortige ärztliche Zwangsmaßnahmen, ist nach einem Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 10. Januar 2020 im Fall einer Fremdgefährdung unwirksam.

Quelle:
Wikipedia

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